Das vorliegende Gedicht „Gefunden“ von Johann Wolfgang von Goethe ist bereits aufgrundseiner äußeren Form als literarischer Text erkennbar und es wird deutlich, dass hier neben derreferentiellen, ästhetischen und unterhaltenden auch die expressive Funktion ganz besondersstark ausgeprägt ist. Dies zeigt sich daran, dass ganz gezielt Stimmungen, wie Ruhe undHarmonie erzeugt [sie werden weniger erzeugt als ausgedrückt] werden. Unerwartet findenwir allerdings in der 3. Strophe das Motiv der Vergänglichkeit vor, welches durch das„Welken“ des Blümchens ausgedrückt wird und als „Bruchstelle“ gedeutet werden kann. Diereferentielle Funktion dagegen erzeugt durch ihre bildhafte Sprache und ihren übersteigerten[?] Wirklichkeitsbezug eine Anregung der Phantasie des Lesers, wodurch sie Emotionalitätund das Entstehen von subjektiven Bildern in Bezug zum Thema Natur hervorzubringenvermag. Beispielhaft hierfür ist der „Wald“ (Strophe 1, Vers 1), sowie das „Blümchen“(Strophe 2, Vers 2), welches die Assoziation von etwas Einzigartigem mit möglicherweisegroßem persönlichem Wert hervorruft. Eine appellative Funktion ist in diesem Gedichtdagegen nicht vorzufinden, da keine direkte Ansprache eines Gegenübers/Lesers stattfindet.
In besondere Erscheinung tritt [A] die ästhetische Funktion. Die klare Einteilung in StrophenundVersform, sowie die Anwendung eines Reimschemas erzeugt eine deutliche Abgrenzungvon der Alltagssprache. Hierzu trägt auch die Verwendung von Stilmitteln bei, welche einebesonders bildhafte Sprache erzeugt. Besonders betont wird dadurch die Schönheit der Natur.[ein paar Textbeispiele nennen!] Unter anderem lässt sich anhand des Gedichts auch eineunterhaltende Funktion aufweisen, die dem Leser durch vorwiegend expressive Funktion [A]ein besonderes Lesevergnügen bereitet. Unter den literarischen Funktionen tritt besonders dieexpressive Funktion hervor, die Stimmungen, Empfindungen und subjektive Erlebnisse desAutors [nein! wir sollten uns im Seminar eigentlich darauf geeinigt haben, dass inliterarischen Texten niemals direkt der der Autor spricht!!! auch wenn hier mutmaßlich einegroße Nähe zwischen dem Ich/der Sprechinstanz und dem Autor besteht] beschreibt.
Allgemein wird eine friedliche, idyllische und harmonische Grundstimmung erzeugt. In der 1.sowie 2. Strophe finden wir dazu Beispielwörter, die auf das Thema Natur hinweisen(„Wald“, „Blümchen“). Weitere Beispiele wie „hübsches Haus“ (4. Strophe, 4. Vers) oderauch „am stillen Ort“ (5. Strophe, 2. Vers) vermitteln eine ruhige und harmonischeStimmung. Konträr dazu steht das „Welken“ des Blümchens (3. Strophe, 3. Vers), das auf dasVanitas-Motiv verweist [zunächst steht „Welken“ eher für Lebenskraftverlust, Altern undSterben, und dann erst möglicherweise für die Vergänglichkeit als solche. Inhaltlich findenwir eine beschriebene Naturszenerie vor, einen ruhigen, bedächtigen Waldspaziergang, inwelche das Motiv der Vergänglichkeit tritt. In Bezug auf die Entstehungszeit des Gedichtsund den Verfasser Johann Wolfgang von Goethe lässt sich der Inhalt thematisch ausweiten.
Deutlich werden dabei die Vorstellung vom Mensch im Einklang mit der Natur, sowie dasBestreben der Klassiker nach Harmonie und Humanität. Kennzeichnend für ein Gedicht sindjedoch nicht nur die literarischen Funktionen. Eine besondere Gewichtung erhält außerdemdie Abweichung von der Standardsprache. Ein wesentliches Merkmal ist dabei das Verfassenvon Verszeilen und Strophen, wie hier anhand der Gliederung in 5 Strophen zu je 4Verszeilen klar erkennbar ist, wodurch eine besondere Strukturierung und Rhythmisierungerzeugt wird. Von großer Bedeutung ist außerdem die Verwendung von rhetorischenStilmitteln. Zu nennen sind beispielsweise die Alliteration „am hübschen Haus“ (Strophe 4,Vers 4), sowie die Anapher „und“ (Strophe 2, Vers 3 und 4), welche durch das Prinzip derWiederholung der Einprägsamkeit dient. Auffallend sind auch die Anthropomorphisierungdes Blümchens in der 3. Strophe, sowie die Anwendung des Diminutivs bei Blümchen(Strophe 2, Vers 2), Äuglein (Strophe 2, Vers 4) sowie Würzlein (Strophe 4, Vers 2). Ein weiteres Wesensmerkmal ist sowohl die formale, alsauch inhaltliche Kürze des Textes. Das Gedicht ist zwar 5 Strophen lang, im Vergleich zueinem Drama oder Roman jedoch verhältnismäßig kurz. Auch inhaltlich wird diese Kürzedeutlich, da der Inhalt, ein ruhiger Waldspaziergang, nur kurz umrissen wird, jedoch keineausführliche Beschreibung des Geschehnisses darstellt. Wie bereits kurz erwähnt spielt auchdie Bildhaftigkeit eine große Rolle. Um diese zu erzeugen verwendet der Autor Vergleichewie „Blümchen“ – „Stern“ (Strophe 2), oder auch die Anthropomorphisierung (Strophe 3).Dadurch wird die dargestellte Naturszenerie vom Leser besonders realistisch wahrgenommen.
Als letztes wesentliches Merkmal der Lyrik ist die Sangbarkeit anzuführen. Entscheidend fürdie Sangbarkeit eines Textes sind dessen Metrum,Rhythmus, Reim, sowie klangliche Stilmittel. Bei den klanglichen Stilmitteln sind, wie bereitsdargestellt, Alliteration und Anapher zu nennen, welche genau wie das Polyptoton „brechen“– „gebrochen“ (Strophe 3) der Eindringlichkeit dienen. Der Rhythmus dagegen entstehthauptsächlich durch die weichen Enjambements, welche einen ruhigen Fluß entstehen lassen.Zum Reimschema lässt sich außerdem anführen, dass sich jeweils die 2. und 4. Verszeileeiner jeden Strophe reimen. In der 2. Strophe finden wir auch einen unreinen Reim („stehn“ –„schön“), während ansonsten durchgehend reine Reime, wie „hin“ – „Sinn“ (Strophe 1)vorherrschen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zunächst der Eindruck eines reinenNaturgedichtes entsteht, welchen es im Verlauf der Analyse durch die Leitmotive der Klassikzu erweitern gilt.
Die Bestimmung der literarischen Funktionen und der lyrischen Merkmale ist gut geglückt, wenngleich dabeinoch mehr mit Textbeispielen gearbeitet werden müsste und die Klanglichkeit durch metrische Analyse(alternierender Zweiheber mit Auftakt und wechselnder Kadenz) noch näher zu betimmen wäre.
Was mir in dieser Interpretation aber noch viel mehr gefehlt hat, ist die Auseinandersetzung mit der inhaltlichenund thematischen Seite des Textes. Das Ich erzählt ja hier ansatzweise eine kleine Geschichte, derensymbolische Handlung zu diskutieren wäre. Was steckt dahinter? Was ist damit sinnbildlich gemeint? Das wäredann die thematische Seite, die über das einfache Thema Natur weit hinausreicht: da geht es auch umSuchen/Finden an sich (Überschrift!), um „Entwurzelung“ und Eigenständigkeit etc. Man muss dabei nichtunbedingt darauf kommen, dass mit dem Brechen der Blume durchaus auch das „Pflücken“ einer Frau durcheinen Mann gemeint sein kann, aber die auffällige, geradezu märchenhaft-phantastische Anthropomorphisierungder sprechenden Blume und der „Äuglein“-Vergleich deuten eigentlich darauf hin.