shakespeare-literatur
  Im Winter (Georg Trakl)
 

Im Winter
Georg Trakl (1887 - 1914)

Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald.

Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.

Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.


Interpretation:

Das Gedicht „Im Winter“ von Georg Trakl beinhaltet ebenfalls den Winter, wie der Titel bereits besagt. Es werden einzelne Bilder, ergänzbare Einzelteile aus dem Bereich des „Menschen“ und der „Natur“ angesprochen. In den ersten beiden Strophen, dem ersten Abschnitt des gedanklich zweigeteilten Gedichts, werden einzelne Bilder, wie zum Beispiel der „Acker“ (V. 1), der „Himmel“ (V. 2), die „Dohlen“ (V. 3), die „Jäger“ (V. 4), die „Wipfel“ der Bäume (V. 5), „Hütten“ (V. 6), ein „Schlitten“ (V. 7) und der „Mond“ (V. aneinandergereiht. Diese Einzelimpressionen ergeben in der Gesamtheit das Bild einer Winterlandschaft. In der dritten Strophe, dem zweiten Teil des Gedichts, werden ebenfalls einzelne Bilder, wie das „Wild“ (V. 9), „Raben“ (V. 10), das „Rohr“ (V. 11) und der „Hain“ (V.12), aufgereiht. Allerdings ergeben diese Bilder im Gesamtkontext das Bild einer Schreckens- und Todeslandschaft.
Das Gedicht hat eine feste geschlossene Form und gliedert sich formal in drei Strophen mit je vier Verszeilen. Es ist keinen besondere Strophenform erkennbar. Der Aufbau dieses Gedichts ist formal identisch mit Eichendorffs Gedicht, doch die Traditionelle Form dieses Gedichts steht im Widerspruch zum expressionistischen Inhalt.
Auch das Reimschema ist ein traditionelles. Es liegen umarmende Reime vor, was die Geschlossenheit der einzelnen Strophen unterstreicht. In Vers 6f. treten jedoch unreine Reime auf, was auf das Zerbrechen der äußeren Formen im Expressionismus hinweist.
Gemäß dem Reimschema liegen bei a, c, e männliche  und bei b, d, f weibliche Kadenzen vor. Dies ist bedeutsam für den Redefluss im Zusammenhang mit dem gegebenen Metrum.
Dieses ist ein Jambus, der in den Versen 2, 3, 4, 5 und 10 mit einem Anapäst wechselt. Dies trägt zur Bewegung und Dynamik des Gedichts bei und deutet ebenfalls auf das Zerbrechen der Formen des Expressionismus hin. Beim Zusammentreffen von weiblicher Kadenz und unbetonter Silbe am Versanfang entsteht nach den Verszeilen 3, 6, 7, 10 und 11 ein Stocken. Im Gegensatz dazu werden beim Aufeinandertreffen von männlicher Kadenz am Versende und betonter Silbe am Versbeginn oder beim Zusammentreffen von weiblicher Kadenz und betonter Silbe am Versanfang die Verszeilen miteinander verbunden werden.
Andererseits entsprechen die durchgängigen vier Hebungen pro Verszeile wiederum dem traditionellen Aufbau, was im Gegensatz zum expressiven Inhalt des Gedichts steht.

Die inhaltliche Aneinanderreihung von einzelnen Bildern wird durch die syntaktische Einteilung unterstrichen. In der Regel entspricht eine Verszeile einem Satz. Lediglich in den Verszeilen 3f., 7f. und 9f. werden zwei Teilsätze durch ein „und“ verbunden. Der Satzbau ist somit parataktisch. In der letzten Verszeile tritt schließlich eine Ellipse auf. Damit erreicht Trakl eine kurze und prägnante Aussage über das sehr wichtige letzte Bild, das Zerstörung ausdrückt.
Trakls Wortwahl ist sehr ungewöhnlich. So verwendet er zahlreiche Elemente der romantischen Epoche, wie zum Beispiel die „Jäger“ (V. 4), der „Wald“ (V. 4), die „Wipfel“ (V. 5), der „Mond“ (V. und das „Wild“ (V. 9). Auch Eichendorffs Gedicht zeigt viele romantische Elemente auf, doch bei Trakl widersprechen diese dem expressiven Inhalt.
Doch Trakl benützt außerdem auch expressive Worte, wie “Der Acker leuchtet“ (V. 1), „Der Himmel ist ... ungeheuer“ (V.2), „Ein Feuerschein“ (V. 6), „verblutet“ (V. 9). Dadurch erreicht Trakl ein Zersprengen des Traditionellen. Des weiteren tragen auch einige Verben der Bewegung („kreisen“ (V. 3), „steigen nieder“ (V. 4), „huscht“ (V. 6), „steigt“ (V. ) zur Dynamik des Gedichts bei. Die Adjektive sind bis auf eine Ausnahme negativ konnotiert, wie zum Beispiel „kalt“ (V. 1), „einsam“ (V. 2), „ungeheuer“ (V. 2), „fern“ (V. 7), „leer“ (V. 12). Das einzige positive Adjektiv ist „sanft“ (V. 9), doch dieses wird durch das „verblutet“ (V. 9) abgeschwächt. Zahlreiche düstere Farben („schwarz“ (V. 5), „grau“ (V. , „blutig“ (V. 10)) unterstreichen ebenfalls die düstere Stimmung. Auch das helle „gelb“ (V. 11) wird durch „bebt“ (V. 11) relativiert. Ebenso steht das „weiß“ (V. 1) nicht für Hoffnung, sondern im Zusammenhang mit Kälte (V. 1).
Das Tempus dieses Gedichts ist das Präsens, was Unmittelbarkeit ausdrückt.
Trakl verwendet kaum klangliche Gestaltungsmittel. Es liegen lediglich einige Alliterationen vor („Schweigen“ – „schwarz“ (V. 5), „Wipfeln“ – „wohnt“ (V. 5), „huscht“ –„Hütten“ (V. 6) und „schellt“ – „Schlitten“ (V. 7)). Diese bewirken ebenso wie der onomatopoetische Ausdruck „plätschern“ (V. 10) eine Eindringlichkeit.

Weiterhin liegen zahlreiche rhetorische Stilmittel vor, mit denen Trakl sein Gedicht gestaltet. Zunächst personifiziert er den „Himmel“ (V. 2), das „Schweigen“ (V. 5) und das „Feuer“ (V. 6). Durch diese Vermenschlichung bringt er dem Leser das geschehen näher. Er verwendet auch viele ungewöhnliche Wortkombinationen wie „bebt gelb“ (V. 11) und „verblutet sanft“ (V. 9), wie es typisch für den Expressionismus ist. Daneben treten die „Dohlen“ und „Raben“ als Symbole des Todes auf. Dadurch werden die Leere und Verlassenheit der Natur zum Ausdruck gebracht. Zugleich spiegelt die Natur den Seelenzustand des Ichs. Auffällig ist, dass bei Trakl im Gegensatz zu Eichendorff kein lyrisches Ich in Erscheinung tritt. Weiterhin verwendet Trakl zahlreiche Chiffren, die für Tod, Leere und Verlassenheit stehen. So bedeuten „Frost“ und „Rauch“ (V. 12) Vernichtung, das „Feuer“ (V. 6) nicht Geborgenheit, sondern ebenfalls Zerstörung und auch der „Schlitten“ (V. 7) steht nicht für Geborgenheit, sondern für Ferne und Verlassenheit („schellt sehr fern“). Der Mensch selbst wird nur einmal direkt erwähnt durch den „Jäger“ als Mörder, als todbringendes Wesen, das den Frieden der Natur stört.
Das Gedicht „Im Winter“ von Georg Trakl ist kein Abbild, kein geschlossenes Landschaftsbild, sondern beschreibt einzelne Bilder, die eine Seelenlandschaft darstellen. Es handelt sich nicht um ein Wintergedicht, sondern um den „Winter der Seele“. Der Gesamteindruck wird in Einzelimpressionen aufgelöst. Die Bilder werden nur scheinbar aneinandergereiht. Im Zusammenhang sind sie aber als Zeichen des lauernden, sich nähernden Todes erkennbar, wie der „Jäger“ (V. 4) und die „Dohlen“ (V. 3). Das eigentliche Thema dieses Gedichts ist nicht „Winter“, sondern Vergänglichkeit, Bedrohung und Tod, die Einsamkeit und Leere des Menschen. Der Mensch wird als todbringendes Wesen dargestellt, was deutlich der Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft, der Antibürgerlichkeit des Expressionismus entspricht. Die Hässlichkeit, das Groteske und die Disharmonie sind ebenfalls bezeichnend für diese Epoche und insbesondere für Trakl. Dadurch wollte er die Leser provozieren und dies drückt auch die Vorahnung einer gesellschaftlichen Katastrophe, die Vorahnung des Krieges aus.

 
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