shakespeare-literatur
  Winternacht (Joseph von Eichendorff)
 

 Winternacht
Joseph von Eichendorff (1788 - 1857)

Verschneit liegt rings die ganze Welt,
Ich hab nichts, was mich freuet,
Verlassen steht der Baum im Feld,
Hat längst sein Laub verstreuet.

Der Wind nur geht bei stiller Nacht
Und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seinen Wipfel sacht
Und redet wie im Traume.

Er träumt von künft'ger Frühlingszeit,
Von Grün und Quellenrauschen,
Wo er im neuen Blütenkleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.


Interpretation:

Das Gedicht „Winternacht“ von Joseph von Eichendorff ist ein Tageszeitengedicht und beinhaltet die Betrachtung einer Winterlandschaft durch das lyrische Ich. Der Titel bezeichnet bereits die Thematik des Gedichts. Dieses lässt sich gedanklich in drei Abschnitte einteilen. In der ersten Strophe betrachtet das lyrische Ich zunächst seine verschneite Umgebung (V. 1), ist dabei traurig und freudlos (V. 2) und wendet schließlich seinen Blick auf einen Baum, der kahl und „verlassen“ auf dem Feld steht (V. 3f.). Im zweiten Teil dieses Gedichts, also der zweiten Strophe, nennt das lyrische Ich den Wind, der nachts durch den Baum bläst (V. 6f.) und dieser redet „wie im Traume“ (V. . In der letzten Strophe, dem dritten Abschnitt stellt das Ich den Baum personifiziert dar, der vom kommenden Frühling „ träumt“ (V. 9) und wie sein grünes Laub zu „Gottes Lob“ rauschen wird (V. 11f.).
Das Gedicht gliedert sich formal entsprechend der gedanklichen Dreiteilung in drei Strophen mit je vier Verszeilen. Je eine Strophe besteht aus einer syntaktischen Einheit, was die Geschlossenheit der äußeren Form unterstreicht. Es liegt keine besondere Strophenform vor, allerdings erinnert das Gedicht wegen seiner einfachen Form, der Naturmotivik, dem bewegten Rhythmus und seiner Klanghaftigkeit an ein Volkslied, wie es in der Epoche der Romantik durchaus üblich war.
Es ist ein durchgehend reiner Kreuzreim mit dem Schema abab, cdcd, efef festzustellen. Dies betont ebenfalls die Geschlossenheit der einzelnen Strophen.
Gemäß dem Reimschema wechseln männliche (a, c, e) und weibliche Kadenzen (b, d, f). Dies ist bedeutsam für den Sprachfluss im Zusammenhang mit dem gegebenen Metrum.
Dieses ist ein durchgängiger Jambus, was bedeutet, dass im gesamten Gedicht streng alternierend unbetonte und betonte Silben wechseln. Diese Regelmäßigkeit bewirkt Ruhe, was der Stimmung dieses Gedichts entspricht. Beim Zusammentreffen von weiblicher Kadenz und unbetonter Silbe am Versanfang entsteht zwischen der zweiten und dritten, der sechsten und siebten und der zehnten und elften Verszeile ein Stocken im Redefluss, was einem gedanklichen Innehalten gleichkommt. Andererseits entsteht beim Aufeinandertreffen von männlicher Kadenz am Versende und unbetonter Silbe am Versbeginn ein Fließen, ein ruhiges Dahingleiten im Rhythmus. Dadurch, dass Verszeilen mit männlicher Kadenz vier Hebungen enthalten und Verszeilen mit weiblicher Kadenz drei Hebungen, wird die traditionelle feste Form aufgelockert und es entsteht etwas Bewegung.
Die geschlossene Form der einzelnen Strophen wird jedoch durch die syntaktische Einteilung wiederum unterstrichen. Eine Strophe entspricht je einem Satz, der aus einer Satzreihe besteht. Eine Verszeile besteht im wesentlichen aus einem Teilsatz. Das Gedicht ist somit weitgehend parataktisch aufgebaut. In Verszeile 11 und 12 liegt ein Enjambement vor, das eine Beschleunigung zum Höhepunkt des Gedichts, der letzten Verszeile bewirkt.
Die Wortwahl dieses Gedichts ist sehr einfach. Eichendorff verwendet viele Elemente der Romantik, wie „Baum“ (V. 3), „Feld“ (V. 3), „Nacht“ (V. 5), „Wipfel“ (V. 7), „Träume“ (V. oder „Quellenrauschen“ (V. 10). Des weiteren treten viele Verben auf wie „geht“ (V. 5), „rüttelt“ (V. 6), „rührt“ (V. 7), was zur Bewegung und Dynamik des Gedichts beiträgt.
Das Tempus ist im Wesentlichen das Präsens, was die Unmittelbarkeit des Geschehens vermittelt. Lediglich in Verszeile vier tritt das Perfekt auf, als das lyrische Ich zum Herbst zurückblickt. In der letzten Verszeile ist einmal das Futur gegeben, als das Ich in die Zukunft, also in die Frühlingszeit blickt.
Auffällig sind sehr viele klangliche Gestaltungsmittel. So fällt in Strophe zwei eine Alliteration der Verben „rüttelt“ (V. 6), „rührt“ (V. 7) und „redet“ (V. auf. Durch die dunklen, farblosen Vokale „a“, „au“ und „e“ erreicht Eichendorff einen sehr dumpfen Klang. Die dritte Strophe wird jedoch durch die viermalige Verwendung des Umlauts „ü“ bei „Frühlingszeit“ (V. 9), „Grün“ (V. 10), „künft’ger“ (V. 9) und „Blütenkleid“ (V. 11) aufgehellt, was der Freude und der Hoffnung des Traums vom Frühling gleichkommt. Durch alle diese klanglichen Gestaltungsmittel versucht Eichendorff die Natursprache klanglich nachzuahmen. Dieser Sprachklang ist ein typisches Merkmal der romantischen Epoche, da die Musik, die Klanghaftigkeit ein bedeutsames Ideal der Vertreter der Romantik war.

Eichendorff verwendet hingegen kaum rhetorische Stilmittel. Lediglich der Wind und der Baum werden durch das gesamte Gedicht hindurch personifiziert dargestellt, indem der eine „geht“ (V. 5) und „rüttelt“ (V. 6) und der andere „rührt“ (V. 7), „redet“ (V. und „träumt“ (V. 9). Weiterhin verwendet der Dichter das Symbol der Dunkelheit, der „Nacht“ (V. 5), was für Schlaf, Traum und das Unbewusste steht. Ebenfalls Eindringlichkeit bewirkt Eichendorff, indem er zwei Sinnesorgane anspricht. Die erste Strophe wird visuell wahrgenommen, die zweite Strophe akustisch, in der dritten Strophe blickt er schließlich gleichsam ins „Innere“ des Personifizierten Baumes.
In der Romantik war der ursprüngliche Veröffentlichungsort von Gedichten in der Regel ein Roman oder ein Märchen. Das lyrische Ich ist also zumeist eine fiktive Romanfigur, die zwischen dem Dichter und dem Leser steht. Ohne die Kenntnis dieses Veröffentlichungsortes sind Gedichte der Romantik nur schwer zu interpretieren.
Das Gedicht „Winternacht“ von Joseph von Eichendorff gibt das subjektive Empfinden des lyrischen Ichs in Bezug auf die Natur wieder. Es ist somit sehr gefühlsbetont und romantisch. Das Naturbild, also die verschneite Winterlandschaft, ist der unmittelbare Spiegel der Seele des lyrischen Ichs, des Menschen. Hiermit ist einen sehr starke Einheit von Mensch und Natur gegeben. In der ersten Strophe sieht zum Beispiel das lyrische Ich einen „verlassen(en)“ Baum (V. 3) und fühlt sich ebenfalls einsam (V. 2). Es besteht ein Gleichklang zwischen der menschlichen Stimmung und der Naturstimmung. Der Winter entspricht der Freudlosigkeit und Trauer des Menschen, der Traum vom Frühling der Hoffnung und Freude. Die Natur selbst hat keinen Eigenwert mehr, sondern verweist auf den seelischen Zustand des lyrischen Ichs.
Der Höhepunkt dieses Gedichts ist jedoch die letzte Verszeile. Gott bewirkt das Kommen des Frühlings. Dieses Gedicht ist im Prinzip ein sehr religiöses Gedicht. Die Natur ist das Abbild, die Offenbarung des Göttlichen. Die Poesie ermöglicht schließlich den Zugang zum Göttlichen und kann die Natur erklären.


 

 
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